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Armin Wachter

Relativistische Quantenmechanik

Relativistische Quantenmechanik Springer Berlin Heidelberg
ISBN: 978-3-540-22922-3

1. Auflage: März 2005
Broschiert, 390 Seiten

Beschreibung

  • Welche Probleme tauchen in relativistischen Erweiterungen der Schrödinger-Theorie auf, insbesondere wenn man an der gewohnten Ein-Teilchen-Wahrscheinlichkeitsinterpretation festhält?
  • Inwieweit können dieses Schwierigkeiten überwunden werden?
  • Worin besteht die physikalische Notwendigkeit von Quantenfeldtheorien?
Viele Bücher geben auf solch fundamentale Verständnisfragen nur unzureichend Antwort, indem sie das relativistisch-quantenmechanische Ein-Teilchenkonzept zugunsten einer möglichst frühen Einführung der Feldquantisierung relativ schnell abhandeln oder ganz weglassen.

Im Gegensatz dazu betont das vorliegende Lehrbuch gerade diesen Ein-Teilchenaspekt (relativistische Quantenmechanik "im engeren Sinne"), diskutiert die damit einhergehenden Probleme und motiviert somit auf physikalisch verständliche Weise die Notwendigkeit quantisierter Felder. Die ersten beiden Kapitel beschäftigen sich mit der ausführlichen Darlegung und Gegenüberstellung der Klein-Gordon- und Dirac-Theorie – immer mit Blick auf die nichtrelativistische Theorie. Im dritten Kapitel werden relativistische Streuprozesse behandelt und die Feynman-Regeln aus Propagatorverfahren heraus entwickelt. Dabei wird auch hier deutlich, warum man letztlich um eine quantenfeldtheoretische Begründung nicht herumkommt.

Dieses Lehrbuch wendet sich an alle Studierenden der Physik, die an einer übersichtlich geordneten Darstellung der relativistischen Quantenmechanik "im engeren Sinne" und deren Abgrenzung zu Quantenfeldtheorien interessiert sind.

Vorwort

Im Hinblick auf Fehler ist wiedergutmachen wichtiger als vorbeugen. Das ist der Kern der Philosophie der menschlichen Erkenntnis, die als kritischer Rationalismus bekannt ist und ihren vielleicht stärksten Niederschlag in den modernen Naturwissenschaften findet. Erkenntnis entwickelt sich demnach aus einer Folge von Vermutungen und Widerlegungen, von vorläufigen Problemlösungen, die durch kompromißlose und gründliche Prüfungen kontrolliert werden. Wichtig hierbei ist die Feststellung, daß gewonnene Erkenntnis nie verifizierbar, sondern allenfalls falsifizierbar ist. Mit anderen Worten: Eine naturwissenschaftliche Theorie kann höchstens als "nicht bewiesenermaßen falsch" angesehen werden, und zwar nur so lange, bis diese Theorie nachprüfbar falsche Vorhersagen liefert. Ein hinreichendes Kriterium für ihre Richtigkeit gibt es dagegen nicht.

Die Newtonsche Mechanik, zum Beispiel, konnte als "nicht bewiesenermaßen falsch" angesehen werden, bis Ende des 19. Jahrhunderts erstmals Experimente zur Messung der Lichtgeschwindigkeit durchgeführt wurden, die im Widerspruch zu den Vorhersagen von Newtons Theorie standen. Weil sich innerhalb Albert Einsteins spezieller Relativitätstheorie bis heute kein Widerspruch zur physikalischen Realität finden läßt (und diese Theorie darüber hinaus "einfach" im Sinne der ihr zugrundeliegenden Annahmen ist), wird die relativistische Mechanik zur Zeit als legitimer Nachfolger der Newtonschen Mechanik angesehen. Dies bedeutet nicht, daß deshalb die Newtonsche Mechanik völlig aufgegeben werden muß. Sie hat lediglich ihren fundamentalen Charakter verloren, weil ihr Gültigkeitsbereich nachweislich auf den Bereich kleiner Geschwindigkeiten im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit eingeschränkt ist.

Der Gültigkeitsbereich der Newtonschen Theorie wurde allerdings im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts noch in anderer Hinsicht eingeschränkt, nämlich in Bezug auf die Größe der physikalischen Objekte, die sie beschreibt. In jener Zeit wurden Experimente durchgeführt, aus denen hervorging, daß sich mikroskopische Objekte wie Atome und Moleküle völlig anders verhalten als es die Newtonsche Mechanik vorhersagt. Die Theorie, die diesen neuartigen Phänomenen in besserer Weise Rechnung tragen konnte, war die im Folgejahrzehnt entwickelte nichtrelativistische Quantenmechanik. Von ihr war allerdings schon zum Zeitpunkt ihrer Entstehung abzusehen, daß sie ebenfalls nur begrenzt gültig sein kann, eben weil sie die Prinzipien der Relativitätstheorie nicht berücksichtigt.

Heute, etwa ein Jahrhundert nach dem Aufkommen der nichtrelativistischen Quantentheorie, werden als "nicht bewiesenermaßen falsche" Theorien zur Beschreibung mikroskopischer Naturerscheinungen sog. Quantenfeldtheorien angesehen. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß sie
  • lorentzkovariant formulierbar sind, also mit der speziellen Relativitätstheorie im Einklang stehen,
  • Viel-Teilchentheorien mit unendlich vielen Freiheitsgraden sind und u.a. Teilchenerzeugungs- und -vernichtungsprozessen in qualitativ und quantitativ exzellenter Weise Rechnung tragen.
Der Weg zu diesen modernen Theorien verlief natürlich über einige Zwischenschritte. Man ging zunächst von der nichtrelativistischen Quantenmechanik – mit der zugehörigen Ein-Teilchen-Wahrscheinlichkeitsinterpretation – aus und versuchte, diese so zu erweitern, daß sie lorentzkovariant ist. Dies führte als erstes zur Klein-Gordon-Gleichung als relativistische Beschreibung von Spin-0-Teilchen. Mit dieser Gleichung war jedoch ein grundlegender Makel verbunden. In ihr treten nämlich Lösungen mit negativer Energie auf. Abgesehen davon, daß sie sich a priori einer vernünftigen Interpretation zu entziehen scheinen, bedeutet ihre Existenz aus quantenmechanischer Sicht, daß es z.B. keine stabilen Atome geben dürfte, da ein atomares Elektron durch fortwährende Strahlungsübergänge auf immer tiefere Niveaus des nach unten unbeschränkten negativen Energiespektrums rutschen könnte. Ein weiteres Problem dieser Gleichung besteht in dem Fehlen einer positiv definiten Wahrscheinlichkeitsdichte, welche für die gewohnte quantenmechanisch-statistische Deutung unerläßlich ist. Diese Schwierigkeiten waren der Grund dafür, daß man lange Zeit nicht an einen physikalischen Sinn der Klein-Gordon-Gleichung glaubte.

In dem Bestreben, an einer positiv definiten Wahrscheinlichkeitsdichte festzuhalten, entwickelte Dirac stattdessen eine Gleichung zur Beschreibung von Elektronen (allgemeiner: Spin-1/2-Teilchen), die allerdings auch Lösungen mit negativer Energie liefert. Hier war es jedoch aufgrund der guten Übereinstimmung der Diracschen Vorhersagen mit experimentellen Befunden im niederenergetischen Bereich, wo die negativen Energielösungen vernachlässigt werden können (z.B. Energiespektrum des Wasserstoffatoms, gyromagnetisches Verhältnis des Elektrons), schwer möglich, den physikalischen Sinn dieser Theorie völlig zu negieren.

Um die Elektronen innerhalb seiner Theorie vor einem Sturz in negative Energiezustände zu bewahren, führte Dirac einen Kunstgriff ein, die sog. Löchertheorie. In ihr wird davon ausgegangen, daß das Vakuum aus einem vollständig besetzten "See" von Elektronen mit negativer Energie besteht, der aufgrund des Paulischen Ausschließungsprinzips mit keinem weiteren Teilchen gefüllt werden kann. Diese neuartige Annahme ermöglicht darüber hinaus eine (zumindest qualitativ akzeptable) Erklärung für Teilchenzahl ändernde Prozesse. So kann z.B. ein Elektron mit negativer Energie Strahlung absorbieren und in einen beobachtbaren Elektronzustand mit positiver Energie angeregt werden. Zusätzlich hinterläßt dieses Elektron ein Loch im See der negativen Energien, zeigt also die Abwesenheit eines Elektrons mit negativer Energie an, das von einem Beobachter relativ zum Vakuum als Anwesenheit eines Teilchens mit entgegengesetzter Ladung und entgegengesetzter (also positiver) Energie gedeutet wird. Dieser Prozeß der Paarerzeugung impliziert offensichtlich, daß es neben dem Elektron ein weiteres Teilchen geben muß, welches sich lediglich im Vorzeichen der Ladung vom Elektron unterscheidet (Antiteilchen). Dieses Teilchen, das sog. Positron, wurde kurze Zeit später tatsächlich gefunden und lieferte eine eindrucksvolle Bestätigung der Diracschen Ideen. Heute weiß man, daß zu jedem Teilchen ein Antiteilchen mit umgekehrten (nicht unbedingt elektrischen) Ladungsquantenzahlen existiert.

In der Klein-Gordon-Theorie konnte schließlich das Problem des Fehlens einer positiv definiten Wahrscheinlichkeitsdichte umgangen werden, indem die Größen ρ und j als Ladungsdichte und Ladungsstromdichte uminterpretiert wurden (Ladungsinterpretation). Der Sturz von positiven Energiezuständen auf negative Niveaus ließ sich allerdings in diesem Fall nicht durch eine löchertheoretische Vorstellung beseitigen, da das Paulische Ausschließungsprinzip hier nicht greift und es deshalb keinen vollständig besetzten See von Spin-0-Teilchen mit negativer Energie geben kann.

Die Klein-Gordon- und Dirac-Theorien liefern experimentell verifizierbare Aussagen, solange man sich auf niederenergetische Phänomene beschränkt, bei denen Teilchenerzeugungs- und -vernichtungsprozesse keine Rolle spielen. Sobald man allerdings auch hochenergetische Prozesse einzubeziehen versucht, treten in beiden Theorien unweigerlich Mängel und Widersprüche zutage. Den erfolgreichsten, weil bisher in keinem Widerspruch zu experimentellen Erfahrungen stehenden Ausweg bietet aus heutiger Sicht, wie bereits erwähnt, der Übergang zu quantisierten Feldern, also zu Quantenfeldtheorien.

Dieses Buch greift einen Ausschnitt des soeben beschriebenen Erkenntnisprozesses heraus und beschäftigt sich mit den Theorien von Klein, Gordon und Dirac zur relativistischen Beschreibung von massiven, elektromagnetisch wechselwirkenden Spin-0- bzw. Spin-1/2-Teilchen, und zwar unter weitestgehender Ausklammerung quantenfeldtheoretischer Aspekte (relativistische Quantenmechanik "im engeren Sinne"). Hierbei steht vor allem die Beantwortung folgender Fragen im Vordergrund:
  • Inwieweit lassen sich die Konzepte der nichtrelativistischen Quantenmechanik auf relativistische Quantentheorien übertragen?
  • Wo liegen die Grenzen einer relativistischen Ein-Teilchen-Wahrscheinlichkeitsinterpretation?
  • Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen der Klein-Gordon- und Dirac-Theorie?
  • Wie lassen sich relativistische Streuprozesse, insbesondere solche mit Beteiligung von Paarerzeugungs- und -vernichtungseffekten, im Rahmen der Klein-Gordon- bzw. Dirac-Theorie beschreiben, ohne den Formalismus der Quantenfeldtheorie zu bemühen und wo liegen hier die Grenzen?
Im Gegensatz zu manchen anderen Lehrbüchern, in denen die "reinen Theorien" von Klein, Gordon und Dirac zusammen mit deren Ein-Teilcheninterpretation zugunsten einer möglichst frühen Einführung der Feldquantisierung relativ schnell abgehandelt werden, betont das vorliegende Buch gerade diesen Standpunkt, um so ein tieferes Verständnis der damit verbundenen Probleme zu vermitteln und letztlich die Notwendigkeit von Quantenfeldtheorien zu motivieren.

Dieses Lehrbuch wendet sich somit an alle Studierenden der Physik, die an einer übersichtlich geordneten Darstellung der relativistischen Quantenmechanik "im engeren Sinne" und deren Abgrenzung zur weiterführenden Quantenfeldtheorie interessiert sind. Seinen Anspruch in Bezug auf Verständlichkeit und physikalische Einordnung priorisierend bewegt sich dieses Buch mathematisch auf mittlerem Niveau und kann von jedem gelesen werden, der die theoretischen Kursvorlesungen zu den Gebieten der klassischen Mechanik, klassischen Elektrodynamik und nichtrelativistischen Quantenmechanik absolviert hat.

Das Buch ist in drei Kapitel plus Anhang aufgeteilt. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Darlegung der Klein-Gordon-Theorie zur relativistischen Beschreibung von Spin-0-Teilchen. Der Schwerpunkt liegt dabei, wie bereits erwähnt, auf den Möglichkeiten und Grenzen der Ein-Teilcheninterpretation dieser Theorie im Sinne der gewohnten nichtrelativistischen Quantenmechanik. Darüber hinaus werden umfassende Symmetriebetrachtungen der Klein-Gordon-Theorie angestellt, ihre nichtrelativistische Näherung systematisch in Potenzen von v/c entwickelt und schließlich einige einfache Ein-Teilchensysteme diskutiert.

Im zweiten Kapitel behandeln wir die Dirac-Theorie zur relativistischen Beschreibung von Spin-1/2-Teilchen, wobei auch hier wieder großer Wert auf ihre Ein-Teilcheninterpretation gelegt wird. Beide Theorien, die ja aus bestimmten Erweiterungen der nichtrelativistischen Quantenmechanik hervorgehen, erlauben prinzipiell einen sehr direkten Eins-zu-Eins-Vergleich ihrer Eigenschaften. Dem wird in besonderer Weise dadurch Rechnung getragen, daß die einzelnen Abschnitte dieses Kapitels strukturell gleich aufgebaut sind wie diejenigen des ersten Kapitels – natürlich nur bis auf Dirac-spezifische Themen, wie z.B. die Löchertheorie oder den Spin, die an geeigneten Stellen gesondert betrachtet werden.

Das dritte Kapitel enthält die Beschreibung relativistischer Streuprozesse im Rahmen der Dirac- und, weiter hinten, der Klein-Gordon-Theorie. In Anlehnung an die nichtrelativistische Quantenmechanik werden relativistische Propagatorverfahren entwickelt und mit den bekannten Konzepten der Streuamplitude und des Wirkungsquerschnittes in Zusammenhang gebracht. Auf diese Weise entsteht ein Streuformalismus, mit dessen Hilfe sich sowohl Ein-Teilchenstreuungen in Anwesenheit eines elektromagnetischen Hintergrundfeldes als auch – mit entsprechenden Erweiterungen – Zwei-Teilchenstreuungen approximativ berechnen lassen. Anhand konkreter Betrachtungen von Streuprozessen in den niedrigsten Ordnungen werden die Feynman-Regeln entwickelt, die alle erforderlichen Rechnungen auf eine gemeinsame Grundlage stellen und graphisch formalisieren. Dabei muß betont werden, daß sich diese Regeln in ihrer Allgemeinheit nicht zwingend aus dem verwendeten Streuformalismus ergeben, sondern in höheren Ordnungen auch rein quantenfeldtheoretische Aspekte beinhalten. Genau an dieser Stelle geht dieses Buch also erstmalig über die relativistische Quantenmechanik "im engeren Sinne" hinaus! Die anschließende Diskussion der quantenfeldtheoretischen Korrekturen (allerdings ohne ihre tiefere Begründung) und deren exzellente Übereinstimmung mit experimentellen Befunden mag in diesem Buch als der vielleicht größte Motivator zur Beschäftigung mit Quantenfeldtheorien selbst als theoretischem Fundament der Feynman-Regeln dienen.

Wichtige Gleichungen und Zusammenhänge werden in Form von Definitions- und Satzkästen zusammengefaßt, um so dem Leser ein strukturiertes Lernen und schnelles Nachschlagen zu ermöglichen. Desweiteren befinden sich nach jedem Abschnitt eine Kurzzusammenfassung sowie einige Aufgaben (mit Lösungen), mit deren Hilfe das Verständnis des behandelten Stoffes überprüft werden kann. Der Anhang enthält eine kurze Zusammenstellung wichtiger Formeln und Konzepte.

Abschließend sei der Hoffnung Ausdruck verliehen, daß dieses Buch dazu beitragen möge, die Lücke zwischen der nichtrelativistischen Quantenmechanik und modernen Quantenfeldtheorien zu schließen und die Notwendigkeit quantisierter Felder durch Darlegung der relativistischen Quantenmechanik "im engeren Sinne" physikalisch verständlich zu motivieren.

Köln im Februar 2005
Armin Wachter